Generic selectors
Exact matches only
Search in title
Search in content
Post Type Selectors
fallbesprechung
acf-post-type
acf-taxonomy
Filter by Categories

Existenzbedrohende Folgen aufgrund ausbleibender sozialrechtlicher Geldleistungen

Dieser Fall eignet sich gut für die Besprechung/Simulation von moralischem Stress, ausgelöst durch eine moralisch herausfordernde Situation, sowie der moralischen Prüfung einer sozialberuflichen Entscheidung unter den Bedingungen von moralischem Stress im Rahmen einer didaktischen Fallberatung/Fallbesprechung.

Fallbeschreibung

Jennifer (30 bis 40 Jahre alt) lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren beiden Kindern (Vorschule + Unterstufe Gymnasium) in einer Hochhaussiedlung in einem sozialen Brennpunkt einer deutschen Großstadt. Aufgrund einer früheren Drogenabhängigkeit wird sie seit vielen Jahren mit Methadon substituiert. Eine Erziehungsbeistandschaft gemäß § 30 SGB VIII wurde im Rahmen der Hilfen zur Erziehung §§ 27 ff. SGB VIII installiert, nachdem es zu wiederholten Anzeigen beim Jugendamt (Allgemeiner Sozialer Dienst) gekommen war. Zusätzlich erhält Jennifer seit vielen Jahren ambulante sozial-psychiatrische Unterstützung von ihrem Sozialarbeiter Christoph. Jennifer lebt von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Bürgergeld) sowie Kindergeld und Unterhaltsvorschuss für ihre beiden Kinder; einer Beschäftigung kann sie als alleinerziehende Mutter aufgrund der Folgen der früheren Drogenabhängigkeit nicht nachgehen. Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie besteht nur zu einer entfernt lebenden Tante, die ebenfalls von Bürgergeld abhängig ist; aufgrund einer bestehenden Abhängigkeitserkrankung der Mutter möchte sie keinen Kontakt zu ihr. Ihren eigenen Vater kennt sie nicht. Geschwister hat sie keine.

Bei einem Hausbesuch von Christoph an einem Freitag berichtet Jennifer, dass sie seit über einer Woche auf die Auszahlung ihres Bürgergeldes warten müsse. Sie habe aktuell kein Geld mehr, um für das Wochenende Nahrungsmittel einzukaufen. Sie habe alle erforderlichen Unterlagen für den Erhalt des Bürgergeldes eingereicht, aufgrund technischer Probleme bei der Behörde verzögere sich jedoch die Auszahlung. Sie habe für die ersten Tage bereits Geld von ihrem sozialen Netzwerk erhalten, jetzt wisse sie aber nicht mehr weiter. Christoph kann ihr aufgrund von Spenden mit einem Lebensmittel-gutschein für das Wochenende kurzfristig aushelfen. In der kommenden Woche begleitet Christoph im Rahmen einer Krisenintervention Jennifer engmaschig und erhält von dem zuständigen Behördenmitarbeiter die Auskunft, dass bei einem tagesgenauen Kontostand der Bank ein Antrag auf eine Sonderauszahlung möglich sei. Bei der Bank stellt sich jedoch heraus, dass diese nur monatliche Auszüge ausstellt und diese keine Ausnahme macht. Die finanzielle Situation von Jennifer spitzt sich weiter zu, da mittlerweile Ausgaben für notwendige Hygieneartikel (Binden für die anstehende Monatsblutung und Haftcreme für das Gebiss von Jennifer) sowie für ein Geburtstagsgeschenk für eine Einladung eines Kindes nicht mehr getätigt werden können. Jennifer traut sich nicht mehr außer Haus, da sie ohne die Haftcreme für ihr Gebiss kaum noch angemessen sprechen kann, zudem fehlen ihr Hygieneartikel. Außerdem gilt es, für das Schulkind einen Betrag in Höhe von 30 € in die Klassenkasse zu leisten. Für die chronische Verstopfung des älteren Kindes fehlen nun auch die finanziellen Mittel für ein (nicht zuzahlungsfähiges) Medikament. Am Dienstag teilt der Behördenmitarbeiter den Vollzug der Überweisung mit. Auf Christoph macht Jennifer angesichts der vielfältigen psycho-sozialen Stressoren einen zunehmend labileren Eindruck, sie weint sehr viel im Gespräch, zittert auffällig und beschreibt zunehmende Ängste, rückfällig zu werden, die wiederum mit großen Ängsten verbunden sind, dass ihr in einem solchen Fall beide Kinder weg-genommen werden könnten. Mit der zuständigen Mitarbeiterin zur Ausführung der Erziehungsbeistandschaft tauscht Christoph sich engmaschig aus und beide beraten sich u.a., ob eine Kindeswohlgefährdungsmeldung erforderlich sei. Nahrungsmittel können bislang über die spendenbasierten Gutscheine sowie die Angebote der Erziehungsbeistandschaft für die Kinder (gemeinsames Kochen, Essengehen etc.) gesichert werden, andere finanzielle Mittel stehen aber nicht zur Verfügung. Da bei seinem Kontakt am Donnerstag immer noch kein Geld seitens der Behörde eingegangen ist, entschließt sich Christoph gegen die Regel seiner Einrichtung, Jennifer mittels eigener privater Gelder in Höhe von 40 € auszuhelfen (d.h. ihr diesen Betrag zu leihen), so dass nun die erforderlichen Hygieneartikel, Medikamente sowie das Geburtstagsgeschenk in seiner Begleitung erworben werden können. Am Freitag, 15 Tage verspätet, kommt das Geld schließlich auf dem Konto von Jennifer an, so dass nun zumindest die materielle Situation vorläufig wieder gesichert ist.

Im Rahmen einer Teambesprechung berichtet Christoph seinen Kolleg:innen von der schwierigen Fallsituation; es entsteht eine kontroverse Debatte darüber, ob Christoph mit der Hilfe privater Geldmittel richtig gehandelt hat.